Der Prozessverlauf
Aufgabe einer rechtshistorischen Betrachtung muss es – neben der notwendigen Betrachtung des Lebenslaufes – sein, den Prozess gegen Maria Renata Singer genauer zu beleuchten. Dies soll im Folgenden für das geistliche und das weltliche Verfahren getrennt erfolgen.
1. DAS ERMITTLUNGSVERFAHREN
Die Ermittlungen gegen die Subpriorin kamen in Gang, nachdem die Laienschwester Monika Kärner Maria Renata denunzierte: Sie sei diejenige, die nachts durch die Gemächer streife. Monika behauptete, sie habe sich ihrer erwehrt und nach ihr geschlagen. Nachdem man einen Schmiss auf der Stirn Maria Renatas als angeblichen Beweis ihrer nächtlichen Umtriebe nicht übersehen konnte, wurde Maria Renata Singer am 5. Februar 1749 von dem Probst Richard Traub, dem Sekretär Burckhardt und dem Prälaten des Klosters Oberzell Oswald Loschert vernommen.
Maria Renata wurde völlig unangekündigt zu diesem Gespräch geholt und mit den Anschuldigungen konfrontiert. Erschrocken darüber, solchen Vorwürfen ausgesetzt zu sein, erklärte sie sich unschuldig und verwies auf die im Kloster unter den Schwestern üblichen Intrigen. Sie mutmaßte, dass die angebliche Besessenheit einiger ihrer Mitschwestern eher „Verstellung“ sei, also vorgespielt.
Hierauf erfolgte eine Gegenüberstellung mit den betroffenen Schwestern. Sobald diese die Subpriorin erblickten, „fingen die bösen Geister aus ihnen erbärmlich an zu heulen, zu jammern und unter anderem aufzuschreien: O, Ihr verfluchten Hunde! Warum wollt Ihr unser Nest zerstören? O Liebelein, verlasse uns doch nicht!“
Die Untersuchenden sahen das als deutlichen Hinweis, dass die Teufel in den Besessenen sie beschimpften, weil sie ihnen mit Maria Renata das geliebte Nest ihres teuflischen Daseins nehmen wollten.
Die 70-jährige Nonne bestritt weiter die Vorwürfe, beharrte auf einer Verstellung und während diese Regungen der Besessenen allen Beteiligten die Tränen in die Augen getrieben haben sollen, habe nur Maria Renata still und verstockt gestanden und nicht geweint.
Rechtshistorisch ist dies nicht ohne Bedeutung: Der Hexenhammer (lat. Malleus Maleficarum) ein Buch, das der Dominikaner Heinrich Kramer nach heutigem Forschungsstand im Jahre 1486 in Speyer veröffentlichte und das bis ins 17. Jahrhundert hinein in 29 Auflagen erschien, enthielt nämlich neben der Definition von Hexen verschiedene klare prozessuale Beweise und Indizien.
Es gilt nach diesem Standardwerk der Hexenverfolgung als Hexenbeweis, wenn alle Beteiligten weinen, nur die Betroffene verstockt und teilnahmslos bleibt. Obwohl quasi ein handfestes Indiz für die Hexerei, wurde dieses im späteren Prozess erstaunlicherweise nicht gegen die Nonne verwendet.
Die von der geistlichen Kommission daraufhin durchgeführte Zimmerdurchsuchung führte dann zur Entdeckung der belastenden Hexenutensilien: Gefunden wurden verschiedene Kräuter, ein Hafen mit Hexenschmiere und ein goldgelbes Röcklein zum Ausfahren auf Hexenversammlungen.
Angesichts der Gegenüberstellung und des Belastungsmaterials soll die Subpriorin dann endlich eingestanden haben, dass sie eine Hexe sei, sich dem Teufel verschrieben habe und anderes Unglaubliche mehr.
Maria Renata wurde im Kloster in Arrest genommen und eingesperrt.
2. DAS GEISTLICHE VERFAHREN
In Klosterhaft - heute würde man das wohl als U-Haft betiteln - verblieb Maria Renata Singer bis zum 19. Februar, dem Tag, an dem unter Fürstbischof Karl Phillip von Greiffenklau, Nachfolger des inzwischen verstorbenen Anselm Franz von Ingelheim, die geistliche Kommission, bestehend aus den Räten Prof. Dr. Barthel, Dr. Wenzel, den beiden Jesuiten Prof. Dr. Munier und Peter Staudinger und dem Oberzeller Beichtvater der Inquisitin Mauru, den Prozess und das Verhör in Unterzell eröffnete.
Die Geistlichen hatten als Verhandlungsraum das Sprechzimmer des Klosters Unterzell auserkoren, in dem sie die Beschuldigte erwarteten. Inzwischen wurde der Weg vom Arrestzimmer zum Sprechzimmer mit Weihwasser besprengt und anschließend die Subpriorin auf einem Sessel von mehreren Laienschwestern herbeigetragen. Man gestattete ihr sogar aufgrund ihres hohen Alters sich während des Verhörs zu setzen.
Ob die folgenden Aussagen der Maria Renata jedoch, wie es die Kommission betont, ohne jeglichen Zwang zustande kamen, darf angesichts anders lautender Berichte, nach denen sie mit 25 Geißelhieben gefügig gemacht wurde, bezweifelt werden.
Am 19. Februar konfrontierte die Kommission die Freifrau mit 177 Fragen, zwei Tage später nochmals mit 34 Fragen. Wie aus den Aktenstücken der Inquisition unter Facti sepcies hervorgeht, wurde der Prozess gegen Maria Renata Singer mit Feststellungen zur Person eröffnet. Bezüglich ihres Namens findet man hier die erste Kuriosität im Geständnis der betagten Nonne. Da die Hölle den Namen der Mutter Gottes nicht dulden könne, habe sie stattdessen den Namen Ema erhalten, der durch Verstellung der Buchstaben Mea Renata ergibt, wodurch der Teufel manifestieren wollte, dass sie „seine Wiedergeborene“ sei.
Im Folgenden wurde Maria Renata dann zu den Motiven ihres Klostereintritts befragt. Sie gestand ein, dass sie keinerlei Ambitionen zum Nonnenleben hatte, sich dagegen gesträubt hatte, aber von ihren Eltern dazu gezwungen wurde. Anschließend wechselte die Kommission das Thema und fragte die Inquisitin frei heraus, ob sie wisse, warum sie vor Gericht stünde und ob sie eingestehe, mit Hexerei zu tun gehabt zu haben. Maria Renata bejahte dies, wobei sie nach den Protokollaufzeichnungen errötete.
Nun galt die Aufmerksamkeit der Kommission den Krankheiten der alten Nonne. Die Freifrau von Mossau erklärte hierauf, dass sie als Kind häufig unter Fieber gelitten hätte, seit einem Jahr nach Auskunft des Arztes an einem Milzschaden leide. Freimütig bekannte sie sich im gleichen Atemzug, dass sie wegen ihres Hangs zum weltlichen Leben oft melancholisch gewesen sei und von Träumen geplagt werde, die teils lustig, teils traurig seien.
Noch einmal gab das Gericht Maria Renata Singer nun die Chance, sich aus ihren Selbstbezichtigungen zu retten, indem es fragte, ob die Hexerei vielleicht nur in ihrer Einbildungen bestanden hätte. Die Antwort kann als Zeichen für den mittlerweile verwirrten Zustand der Angeklagten verstanden werden, aber auch auf einer gezielten Protokollmanipulation beruhen: „Vieles wäre in der Einbildung, vieles aber auch in der Tat.“
Die Kommission ging daraufhin bei der Befragung zu den Kontakten mit der Hölle über. Es folgte das nach dem 1487 verfassten Hexenhammer, dem Standardwerk der Hexenverfolgung, üblichen Fragen zum Pakt und der Buhlschaft mit dem Teufel. Bereitwillig gestand Maria Renata ein, dass sie auf den Zusammenkünften mit dem Teufel ein Bild mit der Zeichnung eines Vogels und eines Herzens mit ihrem Blut und den Worten „Ich bleib dir getreu“ unterschrieben haben. Die nachfolgende Beschreibung des Teufels als großen Herren, mehrmals im Zusammenhang mit einem Offizier genannt und ihrer Aussage, mit dem „bösen Feind“ Unkeuschheit betrieben zu haben, lassen den Schluss zu, dass Maria Renata im Alter die Jugendliebe als Fakt mit dem Teufelswahn vermengte.
Abschließend konzentrierte sich die Befragung der Freifrau von Mossau wieder auf die Teilnahme an Hexenversammlungen und ihre Zauberkünste. Die alte Nonne erklärte, dass es ihr vorkam, dass sie vom Schlafgemach aus zu diesen Zusammenkünften, auf denen getanzt, gegessen und getrunken wurde, ausgefahren sei, denn wie nach einem Traum hätte sie danach im Bett gelegen. Möglich sei ihr die Teilnahme durch eine Hexenschmiere aus verschiedenen Kräutern gewesen. Mit Hilfe einer Wurzel und diesen Kräutern habe sie auch ihre Mitschwestern verhext und halbtote Mäuse zum Leben erweckt. Dem Frageschema folgend, waren dann die Schadenszauber Gegenstand der Befragung: Sechs Personen weltlichen Standes habe sie Gicht, Auszehrung, Schwindsucht und andere Krankheiten angehext, aber die Personen wären alle an Altersschwäche gestorben.
Ihre Mitschwestern Wallburgis und Alexandra Steinholz habe sie durch Pflanzen verhext, die Theresia Venino, Cäcilia und Antonia Kießlich wurden von ihr durch Anhauchen besessen gemacht.
Als Motive hierfür gab Maria Renata immer wieder Neid an. Hintergrund waren zum einen die Bevorzugung einiger Schwestern beim Probst, zum anderen die Vorteile, die die Theresia Venino genoss, da sie häufig von ihrem Bruder Pater Nikolaus Venino und ihrem Onkel Pater Georg Traub besucht werden durfte. Angesichts der Tatsache, dass Theresia Venino eine Nichte des Probstes war, eine offensichtliche Vergünstigung, die Maria Renata wahrscheinlich deshalb ärgerte, da ihr Bruder bei Würzburg stationiert war und anscheinend selten zu seiner Schwester vorgelassen wurde. Des Weiteren gab die alte Nonne zu, sie habe Hostien verunehrt, indem sie sie in den Klostersee spuckte.
Hier findet sich auch wieder einer der Hexenbeweise, die bereits in den Jahren des Mittelalters und im Hexenhammer als sicheres Indiz galten.
Maria Renata gestand des Weiteren, dass der Teufel ihr zwei braune Flecken auf dem Rücken als Erkennungszeichen gegeben habe. Auffällig ist erneut, dass auch hier von einer Hexenprobe mit Nadeln abgesehen wurde, wie dies der Hexenhammer fordern würde. Jedenfalls geht aus dem Protokoll nichts dergleichen hervor.
Während des ganzen Verhörs zeigte sich Maria Renata offen und reuig und beschwor am Ende, sich bessern zu wollen und ab jetzt dem Teufel zu widerstehen. Danach wurde ihr das Protokoll vorgelesen und von ihr unterschrieben. Noch am zweiten Tag des Verhörs, also dem 21. Februar 1749, wurde Maria Renata nach Beschluss der geistlichen Kommission auf die bischöfliche Festung Marienberg verbracht. Hier zeigte sich auch deutlich, dass man den bisherigen Prozess zwar geheim geführt hatte, aber längst die Öffentlichkeit informiert war, was sich hinter den Klostermauern abspielte. So war der Transport auf die Festung, bei dem es zu der oben genannten Begebenheit des leergefegten Ortes Zell kam, eine Maßnahme, die Zeller Bevölkerung zu beruhigen und weitere Unruhe im Kloster zu vermeiden, da die Angst vor Maria Renatas Zauberkunst umging.
Auf der Festung Marienberg wurde die 70-jährige Nonne in einem Zimmer inhaftiert, das nicht einem Gefängnis, sondern eher einer Wohnung glich, denn sie war ja noch nicht verurteilt. Als Beichtvater stellte man der Singer den Pater Maurus von Schotten, einen Mann, dem die Freifrau vertraute. Wie oben schon angesprochen, war Maria Renata wohl schon während der Verhandlung krank und dieses verschlimmerte sich nach ihrer Inhaftierung, denn erst am 28. Mai wird der Prozess wieder erwähnt.
Zu diesem Zeitpunkt fällte die geistliche Kommission ihr Urteil über die Delinquentin. Darin wird erklärt, dass Maria Renata Singer wegen Hexerei und Entehrung der Hostien aller geistlichen Freiheiten und Privilegien verlustig ist und dem weltlichen Richter übergeben werden soll.
Das von Dr. Joh. Casp. Barthel, Dr. Wenzel und Georg Adam Huber unterschriebene Urteil enthält die Bitte der Kommission, dass gegen Maria Renata Singer „weder zu riniger Todes noch anderer Gliederstümmlungsstrafen fürgeschritten werden möge“.
Das Urteil der geistlichen Kommission erfasste zwar den Inhalt des Geständnisses. Insbesondere der Vorsitzende Dr. Barthel zweifelte aber wohl aufgrund des nachhaltigen Drängens der Klosteroberen und der belastenden Angaben der Mitschwestern, die Indizien als fragwürdig an.
Offensichtlich waren die geistlichen Richter bemüht, der alten Frau, immerhin ja einer Nonne, die Möglichkeit zu geben, ihr angebliches Geständnis zu relativieren. Auch die Tatsache, dass bestimmte Hexenbeweise aus dem Mittelalter nicht gegen sie verwendet wurden, belegt die Vermutung. Man kann auch davon ausgehen, dass die Inhaftierung unter relativ komfortablen Bedingungen auf der Festung Marienberg dazu dienen sollte, dass sich die Situation im Kloster wieder beruhigt und durch den Abstand Ruhe einkehrt. So erklärt sich wohl auch die lange Dauer bis zum Vorliegen des geistlichen Urteils.
3. DAS WELTLICHE GERICHTSVERFAHREN
Schon einen Tag nach der Verkündung des Urteils der geistlichen Kommission, am 29. Mai 1749 fand eine Sitzung unter dem Regierungspräsidenten Freiherrn von Wolfskeel statt. Man beratschlagte über die Haftbedingungen der alten Nonne und die Verfahrensweise des weltlichen Prozesses. Auch hier zeigte sich wieder, dass Maria Renata aufgrund ihres Alters- und Gesundheitszustandes, privilegiert behandelt wurde. Entgegen der herkömmlichen Grundsätze gestattete die Kommission ihr weiterhin den Beichtvater, traf Vorkehrungen für eine eventuelle Gesundheitsverschlechterung und verschärfte auch nach dem Urteil die Haftbedingungen nicht.
Zwar gibt es keine Belege dafür, doch man kann wohl spekulieren, dass einige Kommissionsangehörige durchaus Mitleid mit der alten Frau hatten und sahen, dass man sich der europäischen Öffentlichkeit mit dem neu aufflammenden Hexenwahn lächerlich machte. Auf die Gründe, warum dennoch kein offener Widerstand gegen den Prozess erhoben wurde, soll zu einem späteren Zeitpunkt noch ausführlicher eingegangen werden. So viel sei jedoch hier schon festgehalten; maßgeblich war das hartnäckige Drängen der Prälaten von Oberzell und des Probst von Unterzell.
Bezeichnend für das eben Ausgeführte ist der Beschluss der Kommission, dem Vorschlag des Vizekanzlers Reubold zu folgen und Maria Renata das Protokoll des Verhörs vorzulesen. So geschah es am 4. und 7. Juni 1749. Die weltliche Kommission sollte im Wesentlichen basierend auf den Angaben im kirchlichen Verfahren, die Beweise vertiefen und auch noch eventuelle weitere Tatbeteiligte feststellen. Aus den Akten geht hervor, dass die Verhandlung von den Hofräten Ebenhöck und Unger sowie dem Regierungssekretär Sartorius durchgeführt wurde. Maria Renata Singer gestand wieder reumütig und versicherte, dass sie dem Teufel ganz abgeschworen habe und wieder ganz Gott angehöre.
Maria Renata Singer nannte zuerst Personen, die bereits verstorben waren oder die nicht überprüfbar waren. Als der Druck durch das Gericht verstärkt wurde, belastete sie dann aber den ehemaligen Klostersekretär Schloth und den Amtskeller Gotha, die sie auf Hexenversammlungen gesehen habe.
Auffallend ist, dass aus den weltlichen Prozessprotokollen noch deutlicher hervorgeht, die Freifrau könnte alles nur geträumt haben. Auf Nachfragen zu einigen Punkten versuchte sie ihre Schuld herabzusetzen und auch im Bezug auf die Hexenversammlungen relativierte sie ihre Aussagen. Im Traum, aber eben nur darin, habe sie den früheren Klostersekretär Schloth und den Amtskeller Gotha aus Veitshöchheim bei den Hexenversammlungen gesehen. Diese Aussage erstaunt nicht, lässt sie doch deutliche Ähnlichkeit mit früheren Hexenprozessen erkennen, bei denen die Angeklagten hohe Persönlichkeiten beschuldigten. Ob man im geistlichen Verfahren diese Namen gern gehört hat, weil sie vielleicht einigen Geistlichen unliebsam waren, ob man das Protokoll absichtlich fälschte oder ob Maria Renata sie bewusst beschuldigte, ist nicht zu rekonstruieren. Auffallend ist jedoch, welche Bedeutung dieser Relativierung ihrer Aussage beigemessen wurde.
Im Wesentlichen jedoch blieb die Nonne bei ihrer früher gemachten Aussage, was angesichts der Tatsache, dass ihr die alten Protokolle vorgelesen wurden, nicht verwundert.
Am 10. Juni 1749 wurde dann der erste Zeuge, Oberratsassessor und Gewürzhändler Carl Anton Venino aus Würzburg vernommen. Der Vater der Schwester Theresia aus Unterzell und des Pater Nikolaus zu Illmstadt machte folgende Aussage: Was seiner Tochter in Unterzell passiert sei, wäre dem Gericht ja bekannt. Aber auch seine älteste Tochter weltlichen Standes habe Maria Renata verhext, so dass sie sich weigere, ins Kloster einzutreten. Sein Sohn Nikolaus, Pater in Illmstadt, werde nachts immer wieder von unsichtbaren Kräften aus dem Bett geworfen und bisweilen auch geschlagen. Oft verdrehe er den Kopf völlig auf dem Rumpf und manchmal spie er große, spitze Messerklingen.
Als zweiter Zeuge wurde dann der Vikariatsassessor Johannes Grossgebauer vernommen, der bis März 1749 als Klostersekretär in Unterzell tätig war. Seine Aussagen bestätigten aber nur das bisher Vorgetragene.
Als letzter wurde schließlich der Glasermeister Nikolaus Traub, Bruder des Pater Georg Traub zu Ebrach und Schwager des Anton Venino, vernommen. Er belastete Maria Renata mit der Aussage, sie habe seinen Sohn verhext, als er mit seiner Familie zu Besuch beim Herrn Probst, seinem Bruder, in Unterzell weilte.
Fürstbischof Karl Philipp von Greifenclau seinerseits hatte mittlerweile die Theologische Fakultät der Universität Würzburg eingeschaltet und diese um ein Gutachten darüber gebeten, ob man den Angaben böser Geister glauben dürfte. Die sorgsam abgewogene Antwort lief im Wesentlichen darauf hinaus, dass man zwar generell eine Glaubwürdigkeit nicht absprechen wolle. Anderseits sei es aber gefährlich, Dämonen zu vertrauen, wenn sie einen Menschen beschuldigten.
Sowohl die geistliche Kommission als auch die theologische Fakultät der Universität hatten somit Abstand von einem Todesurteil genommen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu erkennen gegeben, dass ihnen kein eindeutiger Schuldbeweis gegen die alte Nonne ersichtlich war. Dennoch verschloss sich die weltliche Kommission dieser Warnungen und fasste am 19. Juni ihr Urteil ab und legte es der Regierung vor.
Es lautete:
In peinlicher Inquisitions-Sach Maria Renatae Sengerin von Mohsau des Klosters zu Unterzell, Praemonstratenserordens, ehemalige Prosehs in punkto Magiae et Sortilegy, dann andern schwehresten Verbrechen wird hiermit zu recht erkannt, weilen sie Maria Renata sowohl in dem geist- als weltlichen Regierungsprotokollis öfteres wiederholter mit verschiedenen beschwerlichen Umständen eingestanden hat, was maßen sie
1mo Eine würkliche Hex und Zauberin seye, auch solches bereits in das etlich und sechzigste Jahr getrieben und
2do mit dem Teufel einen Pact gemacht, welcher mit Veränderung ihres Nahmens Maria in Ema sie Mariam Renatam mit ihrem wissen und Willen in das sogenannte Hexenbuch eingeschrieben, wie auch
3tio von dem Teufel 2 braune Flecken auf dem Rucken als Hexenzeichen sich machen lassen, nebsten
4to vermittels einer gebrauchten Hexen-Schmier, und einem gefärbten Röcklein des Nachts öfters ausgefahren seye, und in erwähnter Hexenversammlung sich eingefunden, nicht minder
5to in sothaner Versammlung Vielmahlen, außer solcher aber nur einmal Gott, Mariae, allen Heiligen und den heiligen Sacramenten abgeschworen, ferner
6to sowohl in als außer solcher Hexenversammlung, und in den clösterlichen Stand mehrere Gemeinschaft, ja sogar schändlichste Unzuchten mit dem Teufel getrieben, anbey
7mo das Hexen 6 Personen, als 3 minderjährigen Kindern, so in wenig Tagen darauf verstorben und 3 gestandenen auch inzwischen Verstorbenen Manns-Personen, in ihr Mariae Renatae weltlichen, mithin außer dem Closter-Stand nicht allein gelehrt, als
8vo die Hexerei ihrerseits mit Lebendigmachen einer halb bereits verfaulten Maus und Unterhaltung einer redenden Katze selbsten ausgeübt, sofort durch solche ihre
9no nicht nur ermelten Closters Unterzell Probsten und noch andere viele Personen im Closter zu beschädigen getrachtet, sondern auch
10mo anderen Leuthen außer dem Closter sowohl als mehreren Personen im Closter mit Verursachung der Auszehrung, Gliederschmerzen, Gichter und dergleichen würklichen Schaden zugefügt und über das 6 von ihren Mitschwestern mit dem Teufel, wie diese bis anjetzo annoch entsetzlich geplagt werden besessen, gleichmäßig
11mo des Closters Probstens Bruder und respertive Schwesterkind benanntlichen P. Georgium Traub zu Closter Ebrach, und P. Nicolaus Venino zu Closter Illmstadt in ihrer Vernunft verwirret, und irrlich gemacht, wodurch diese allerhand Schmertzen und Beängstigung erleyden müssen, zu geschweigen
12mo anderer von ihr Inquisitin in ihrem noch weltlichen Stand getrieben schändlichsten Abergläubischen Handeln, sie Mariae Renatae endlichen
13tio die in der heiligen Communion empfangenen heilige Hostien merhmalen nicht hinuntergeschlungen, sondern solche Teils durch Einherzlung in der Inquisitin Arm und Bein, theils mit Werfung in den dortigen Clostersee, auch zu 3 mahliger Werfung in das geheime Orth, sogar
14tio mit Nadelverstopfung eine heilige Hostie in der offentlichen Hexenversammlung, wohin sie solche Wissend und gefliessentlich mitgenommen, gottesräuberisch mißhandelt haben.
Den gesetzlichen Bestimmungen nach sollte Maria Renata bei lebendigem Leib verbrannt werden, zuvor jedoch die rechte Hand abgehauen, ein Pulversack um den Hals gehängt und gleichzeitig stranguliert werden. Nur vier der zehn abstimmenden Räte sprachen sich gegen diese scheußliche Art der Hinrichtung aus.
Dagegen schritt jedoch Fürstbischof Karl Philipp ein und milderte die Strafe in Enthauptung und anschließendes Verbrennen des Leichnams ab.
4. DIE URTEILSVOLLSTRECKUNG
So geschah es dann auch am Morgen des 21. Juni. Nachdem man Maria Renata gegen 8 Uhr in den Saal der Marienburg geführt und ihr nochmals das Urteil vorgelesen hatte, wurde die Freifrau von Mossau wegen ihres Alters und ihrer Schwäche in einem Sessel zum Richtplatz getragen, der sich auf einer Bastei der Festung in Richtung Höchberg befand.
Ein Unteroffizier und sechs Soldaten, sowie vier Jesuiten, zwei Kapuziner und ihr Beichtvater Maurus von Schotten begleiteten sie auf diesem letzten Weg. Unter den Geistlichen war auch Pater Georgius Gaar, der ihr als Galgen-Pater zugeteilt war.
Am Richtplatz angekommen schwor Maria Renata nochmals dem Teufel ab, worauf ihr Pater Marus von Schotten die Absolution erteilte. Daraufhin wurde sie auf einen Stuhl gebunden und der Kitzinger-Scharfrichter zog sein Schwert und „hieb ihr mit so ausnehmender Geschicklichkeit das Haupt vom Rumpf, dass alle Umstehenden das vollkommenste Vergnügen über diesen so glücklichen Vollzug verspüren ließen“.
Besondere Bedeutung wurde der Tatsache beigemessen, dass während der Exekution ein Geier über den Richtplatz schwebte, wobei man den Sinn jedoch dem göttlichen Richter allein überließ.
Der Leichnam der alten Nonne wurde nun zum Brandplatz gebracht. Dieser wird als vor dem Walde gegen Waldbüttelbrunn beschrieben und ist im heutigen Ortsteil Hexenbruch der Gemeinde Höchberg gelegen gewesen. Dort wurde ihr kopfloser Körper auf den Scheiterhaufen gelegt und ihr Haupt auf eine Stange mit Blickrichtung auf Kloster Unterzell aufgespießt.
Bevor jedoch das Feuer entzündet wurde, hielt Pater Georgius Gaar seine christliche Anred zur Hinrichtung der Maria Renata Singer. Diese Predigt, der Gaar noch eine zweite im Dom folgen ließ, stand im deutlichen Widerspruch zu der „Cautio Criminalis“ seines Ordensbruders Friedrich Spee. Pater Gaar verteidigte das Vorgehen gegen Hexen und stellte sich scharf gegen jene, die an der Wirklichkeit der Hexenkünste zweifelten. Damit zettelte er einen literarischen Streit über die Hexenprozesse an, der dem Verfahren gegen die Unterzeller Nonne zu ihrem traurigen Ruhm verhalf. Erst nach dieser Predigt des Paters Georgius Gaar wurde der Scheiterhaufen entzündet und den ganzen Tag über am Brennen gehalten.
Bemerkenswert ist eine Begebenheit, die sich zur gleichen Zeit im Kloster ereignete:
Während der Hinrichtung tanzten die fünf angeblich vom Teufel besessenen Nonnen im Garten des Klosters und sangen dabei „Der Kaiser hat brave Soldaten, wenn sie bezahlt sind“.
Hier wird deutlich, dass die jüngeren Nonnen gezielt auf eine Verurteilung der Maria Renata hingearbeitet hatten, die wohl aufgrund ihrer Verbitterung sehr streng mit den Jüngeren umging. Desweiteren deutet sich an, dass durchaus finanzielle Gesichtspunkte im Raum standen.