Die Zeller Hexe
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die letzte deutsche Hexe

 

Zum Leben der Maria Renata Singer

Maria Renata Singer, Freifrau von Mossau, wurde zu kriegerischen Zeiten am 27. Dezember 1679 in Niederviehbach bei Dingolfing geboren, wo sich ihr Vater, ein aus altem fränkischen Adel stammender Kavallerieoffizier, in der Nähe im kaiserlichen Heerlager bei Wien aufhielt. Die Existenz mindestens zweier Brüder namens Marquardus und Franziskus, die wie der Vater die Offizierslaufbahn einschlugen und bei Würzburg stationiert waren, ist anhand von Briefen belegbar.

Über die Kindheit Maria Renatas ist nicht allzu viel bekannt. Den Prozessunterlagen und ihrem späteren Geständnis ist zu entnehmen, dass sie einen Teil ihrer Jugend ihrem Vater auf seinen Kriegszügen gegen die Türken folgte und mindestens bis 1693 mit dem Heerlager der Österreicher in Bosnien und Serbien unterwegs war.

Wenn auch die genauen Altersangaben schwanken, so muss Maria Renata schon als „noch unverständliches Kind“ in diesen Kriegszeiten Kontakt mit Aberglaube, Teufels- und Hexenanbetung bekommen haben.

Maria Renatas späteres Geständnis in ihrem Prozess, der Teufel in der Gestalt von Reitern und Offizieren ihres Vaters habe sie in ihrer Jugend zur Hexerei angeleitet und sie auf Hexenversammlungen mitgenommen, lässt die Spekulation zu, dass auch im österreichischen Heer die Einflüsse fremder Kulturen und die Angst vor den Türken den Aberglauben gedeihen ließen. Man darf aber auch annehmen, dass sich die Soldaten abends am Lagerfeuer einen Spaß erlaubt haben und die Kinder mit Geschichten erschreckten. Auch diese Erzählungen im Kindesalter haben natürlich einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Offensichtlich hat die heranwachsende Maria Renata aber im Heerlager sehr früh versucht, den jungen Offizieren des Vaters den Kopf zu verdrehen und zumindest eine entdeckte Liebschaft gehabt.

Eine in der Universitätsbibliothek bewahrte Darstellung eines unbekannten Verfassers von 1849 beleuchtet interessante Aspekte der Jugendzeit.

Maria Renata wurde mit 13 Jahren zur verwitweten Tante nach München verbracht. Die „bejahrte und würdige“ Offizierswitwe sollte dem jungen Mädchen, das bisher eher verwildert im Heerlager aufgewachsen war, damenhaftes Verhalten und angemessene Benimmregeln bei gesellschaftlichen Anlässen näher bringen.

In München stand bis Ende des 17. Jahrhunderts an der Mentnerschweige am Waldrand ein altes, dem Verfall überlassenes Forsthaus. In diesem hatte sich eine Unbekannte, vermutlich eine Zigeunerin, niedergelassen. Sie wurde von den Menschen als weise Frau mit magischen Kräften ebenso gefürchtet wie als Nothelferin verehrt. Insbesondere bei der Jugend war sie wohl beliebt, weil sie über diverse Liebesrezepte verfügte, wie „man ein Mägdlein in Liebe entzünden“ kann.

Die heranwachsende Maria Renata soll in München tiefe Zuneigung zu einem Rittmeister namens Berthold entwickelt haben, mit dem sie sich öfters heimlich im Wald bei der Alten in der Mentnerschweige getroffen hat. Das junge Mädchen freundete sich mit der Zigeunerin, bei der sie dem strengen Regiment der Tante entkommen konnte, sehr innig an und erlernte viele der Geheimnisse und Handhabungen dieser „Kräuterfrau“.

Anscheinend vergiftete sich die alte Frau aber nachts bei ihren Versuchen selbst. Maria Renata, die sie tot in der Hütte auffand, konnte daraufhin aber ihre Besuche dort und ihre Liebschaft nicht länger verheimlichen.

So kam es, dass sie am 12. März 1699, also mit 19 Jahren, in das Kloster Unterzell verbracht wurde, das wegen „genauer geistlicher Disziplin und recht außerbräuchlich unschuldiger Tugend und Lebenswandel“ bekannt war. Die Freiwilligkeit dieses Schrittes darf angesichts des bisherigen Lebenswandels der mittlerweile jungen Frau angezweifelt werden.

Die finanzielle Entlastung ihrer Eltern und deren Zwang, waren wohl der ausschlaggebende Grund, denn – wie KOHL berichtete – zeigte Maria Renata keinerlei Neigung zum Klosterberuf, was angesichts ihres bis dahin wohl eher abwechslungsreichen Lebens durchaus nachvollziehbar ist. Umso überraschender fügte sich die Freifrau von Mossau aber sehr schnell in das Leben des Klosters ein, das in dieser Zeit seine Reichtümer mehren konnte und eine Erweiterung seines Konvents, der mit 42 Nonnen seine Höchstzahl erreicht hatte, erwog.

Schon im Jahre 1701 legte Maria Renata Singer ihre Profess ab und 19 Jahre später setzte die Oberin sie als Subpriorin ein, weil sie ein äußerst erbauliches Klosterleben führte, stets die Erste und Letzte im Chor und Gottesdienst war, einen untadeligen Lebenswandel hatte und über einen klaren Verstand verfügte. In den Aufzeichnungen des damaligen Propstes Dr. Balthasar Röthlein ist zu lesen, dass Maria Renata Singer, die zuvor bereits die wirtschaftliche Aufsicht führte, am 2. September 1720 zur Subpriorin bestellt wurde und fortan bei Rechtsgeschäften des Klosters die Unterschrift der Subpriorin erforderlich war. Im Protokollbuch Röthleins findet sich: „... 25ten Mai 1724 ... den Jungfrauen Konvent von mir (Propst Röthlein) für gelesen, expliciert und von Frau Priorin und Subpriorin nomine conventus (im Namen des Klosters) unterschrieben.“

In dieser Eigenschaft als Subpriorin zog Maria Renata wohl Jahre später den Zorn der Oberzeller Mönche auf sich. Das Kloster Oberzell in seiner noch heute erhaltenen Bauweise entstand nämlich in der Zeit von 1744 bis 1760 auf dem Höhepunkt des Rokoko. Kein Geringerer als Balthasar Neumann legte 1742 die Entwürfe vor, nach seinem Tod 1753 führte sein Sohn Franz Ignaz Michael den Bau fort. Kein Wunder also, dass die Zeller Mönche ständig wegen ihres Finanzierungsbedarfs bei den Unterzeller Nonnen vorstellig wurden. Die geldbedürftigen Oberzeller wurden aber bei ihren Pumpversuchen im Kloster Unterzell stets von Maria Renata Singer abgewiesen. Diese weibliche Sparsamkeit schlug aber parallel auch schnell in Profitsucht um, so dass nach Unterzell vor allem Töchter reicher Eltern kamen, die dafür gut zahlten. Damit war aber vielen Familien der Weg eröffnet, unliebsame, kranke, hysterische oder zu sehr dem männlichen Geschlecht zugetane Töchter los zu werden und dabei das Gesicht zu wahren. Eine gefährliche Zusammensetzung der Klosterinsassen, die auch in anderen Klöstern extreme Auswüchse nach sich zog.

Maria Renatas einziger Lichtblick in diesem wohl von ihr nicht gewollten Nonnenleben scheinen die schwarzen Katzen gewesen zu sein, die sie in ihrem Kämmerlein über dem Torbogen des Klosters hielt. Ihre andere Leidenschaft galt dem Klostergarten und den dort von ihr gepflegten Pflanzen.

Nach einem fast vierzigjährigen Nonnenleben in Unterzell ereigneten sich im Kloster plötzlich mehr und mehr seltsame Dinge. Mehrere Nonnen klagten über Albträume und wurden als besessen betrachtet. Ein älteres Mitglied des Konvents beichtete auf dem Sterbebett, Maria Renata sei eine Unholdin und habe sie mehrmals in der Nacht geplagt.

Pater Siardus aus dem Praemonstratenser-Kloster Oberzell führte daraufhin den Exorzismus durch, der aber wenig Erfolg zeigte. Im Gegenteil, der Mönch wurde aufs Übelste von den angeblich in der Nonne wirkenden Teufeln beschimpft und musste sich seine eigenen Sünden vorwerfen lassen. Der Vorwurf blieb, dass Maria Renata die verantwortliche Unholdin sei. So berichtete nämlich die Sterbende.

Obwohl man Maria Renata daraufhin unter ihrem heftigsten Protest die Katzen wegnahm, weil mehrere angeblich Besessene aussagten, diese seien Renatas dienende Teufel, kehrte im Konvent keine Ruhe mehr ein. Immer wieder litten mehrere Nonnen, ihre Namen waren Wallburgis, Alexandra, Theresia und Cäcilia, an nächtlichen Anfällen. „Sie wurden in ihre Bette gedrückt, geschlagen und gepeinigt“, so dass auch die ständigen Versuche des Probstes, zu beschwichtigen, vergeblich waren.

Die Kunde von den unheimlichen Vorgängen im Kloster drangen natürlich auch aus den Klostermauern hinaus, so dass nun auch jede Krankheit, jedes Unwetter und Viehsterben auf die Hexe im Kloster geschoben wurde. Als auch der Bruder ihrer Mitschwester Theresia - Pater Nikolaus Venino aus dem Kloster Illmstadt - in der Wetterau und deren Onkel - Pater Georg Traub aus dem Kloster Ebrach - angeblich von Auswirkungen der Besessenheit geplagt wurden, war die „Täterin“ in Maria Renata schnell gefunden.

Der Druck auf den Probst scheint immer größer geworden zu sein, war er doch schließlich der Onkel der Klosterschwester Theresia.

Als Maria Renata eines Nachts im Zimmer einer Mitschwester erschien, wurde sie von dieser Chorjungfer mit deren „mit scharfen Sporen bewaffneter Disziplin“, einem Gerät zur Bußkasteiung, aus der Kammer getrieben. Tatsächlich fand sich am nächsten Tag ein Schmiss auf der Stirn der Maria Renata Singer. Daraufhin nahm der Probst, unter Heranziehung der Priorin, der Provesin, des Sekretärs Burckhardt und des Prälaten des Mönchklosters Oberzell am 5. Februar 1749 eine Vernehmung der 70-jährigen Nonne vor, die im Laufe des Verhörs eingestand, eine Hexe zu sein.

Dies geschah wohl erst aufgrund der Durchsuchung ihrer Kammer, bei der Hexenutensilien wie verschiedene Kräuter, ein Hafen mit Hexenschmiere und ein goldgelbes Röcklein, zum Ausfahren auf Hexenversammlungen gefunden wurden.

Nun blieb dem Probst keine andere Wahl, als dem bischöflichen Ordinariat und damit Fürstbischof Anselm Franz von Ingelheim, Meldung zu machen.

Allerdings gibt es noch eine andere Version, die als Erklärung für das Handelnmüssen des Probstes nach seinen langen Vermittlungsversuchen dient. Am Gründonnerstag des Jahres 1748 zogen die Konventualen nach altem Brauch von Unterzell in feierlicher Prozession nach Oberzell, wo jede Nonne ihrem Beichtvater ein Osterei überreichte. Der Klosterbeichtvater der Subpriorin verspürte nach der Übergabe des gefärbten Eies jedoch alsbald ein Jucken in der Hand, das erst nachließ, als er seine Finger in Weihwasser tauchte. Der Mönch schöpfte daraufhin Verdacht und angeblich beichtete ihm Maria daraufhin, eine Hexe zu sein, wobei sie die Bitte anschloss, ihr davon doch abzuhelfen.

Nach dieser Geschichte, die bei KOHL zu finden ist, informierte der Mönch den Probst und es kam zu der besagten Vernehmung und Zimmerdurchsuchung. Diese Version scheint jedoch – trotz der breiten Übernahme – in den Bereich der Legenden zu fallen. Zum Zeitpunkt des Gründonnerstages 1749 saß Maria Renata ja schon längst in Haft und ein fast einjähriges Zögern von Gründonnerstag 1748 bis zum Februar 1749 ist mehr als unwahrscheinlich.

Beide Versionen haben aber eine auffallende Gemeinsamkeit. Ursächlich für die tatsächlichen weiteren Geschehnisse waren die Mönche des Klosters Oberzell. Insbesondere der „nimmerruhende Abt von Oberzell“ drängte den Probst und später auch den Fürstbischof von Ingelheim, die Kommission gegen Maria Renata Singer einzusetzen.

So wurde die alte Nonne unter Klosterarrest gestellt und der Fürstbischof ernannte eine geistliche Kommission, bestehend aus den geistlichen Räten Dr. Barthel und Dr. Wenzel und den beiden Jesuitenpatres Staudinger und Munier, die der 70-jährigen Maria Renata den kirchlichen Prozess machen sollten.

Der erste Verhandlungstag, der 10. Februar 1749, musste jedoch auf den 19. Februar 1749 verschoben werden, weil sich der Fürstbischof bei seinen alchemistischen Studien angeblich mit einem vermeintlichen Lebenselixier vergiftet hatte und am 9. Februar 1749 verstarb.

Am 21. Februar 1749, dem zweiten Verhandlungstag, wurde Maria Renata von der geistlichen Kommission für schuldig befunden, ihrer kirchlichen Rechte für verlustig erklärt und der weltlichen Gerichtsbarkeit überstellt. Hierzu wurde sie noch am selben Tag auf die bischöfliche Festung Marienberg über Würzburg gebracht und dort, allerdings eher schonend, inhaftiert.

Wie stark der Hexenwahn nun wieder aufgebrochen war, zeigt das Geschehen vor dem Transport der Subpriorin nach Würzburg. Am 20. Februar 1749, also am Tag bevor Maria Renata in einer Chaise durch Zell auf den Marienberg geschafft wurde, lief der damalige Schultheiß des Ortes, Peter Weckesser durch den Ort und ermahnte die Bürger von der Straße zu bleiben und die Fenster zu verriegeln „damit ihnen von der Renata nichts geschehe“.

In ihrem Gefängnis auf der Festung muss Maria Renata dann erkrankt sein und somit den Geschäftsgang der Kommission für mehr als drei Monate unterbrochen haben. Hörte man doch erst am 28. Mai 1749 erneut von dem Prozess, nämlich dem Vorlegen des schriftlich abgefassten Urteils der geistlichen Kommission. Schon einen Tag darauf fand dann die Besprechung unter dem Vorsitz des Freiherren von Wolfskeel statt, in der man den weltlichen Prozess vorbereitete, der am 4.06. begann und am 17. Juni 1749 mit dem Todesurteil endete.

Am Morgen des 21. Juni 1749 fand zwischen 8 und 9 Uhr die Exekution statt. Zuvor hatte sie eine Weinsuppe als Henkersmahlzeit erhalten und danach selbst das Lied „Wann wird doch mein Jesus kommen“ gesungen. Nach der Verlesung des Urteils musste die kranke Nonne wegen ihrer Schwäche in einem besonderen Stuhl zum Richtplatz auf der mittleren Bastei der Festung getragen werden. Dort hieb der Kitzinger Scharfrichter Maria Renata den Kopf ab. Der Leichnam der alten Nonne wurde dann in einem Sarg auf den Hexenbruch gebracht, wo ihr Körper verbrannt wurde, während man ihr abgeschlagenes Haupt auf eine Stange mit Blick auf Unterzell steckte.

So endete das Leben einer Frau, der der Aberglaube und der Glaubenswahn ihrer Zeit die traurige Berühmtheit der letzten fränkischen Hexe einbrachten.